Cover
Titel
Retail Worker Politics, Race and Consumption in South Africa. Shelved in the Service Economy


Autor(en)
Kenny, Bridget
Erschienen
Anzahl Seiten
XV, 282 S.
Preis
€ 119,59
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hannah Schilling, Institut für Sozialwissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Die historische Ethnographie Retail Worker Politics, Race and Consumption in South Africa von Bridget Kenny zeigt auf, warum der Einzelhandel in Südafrika seit den 1930er-Jahren Ort von Auseinandersetzungen ist. Das Buch leistet einen Beitrag zur Arbeiterbewegungsforschung, indem es Anerkennungskämpfe und politische Subjektivierung aus der materiellen Praxis heraus untersucht, und dabei über Identitätspolitik und die Analyse von formalen Rechten hinausgeht. Kenny folgt der Frage, warum im Einzelhandel in der Großraumregion Johannesburg diese Anerkennungskämpfe bis heute andauern. Die Antwort: Das Fortdauern von Kämpfen ist möglich, obwohl oder gerade weil sich Beziehungen und semantische Verkettungen am Arbeitsplatz kontinuierlich verändern, wobei der Re-Konfigurierung des kollektiven politischen Subjekts der Arbeiter im Einzelhandel ein besonderer Stellenwert zukommt. Kenny stellt in ihrer Analyse drei zusammenhängende Dynamiken heraus: Erstens analysiert sie den Einzelhandel als sozialen Raum, in dem Vorstellungen von Nation und nationaler Zugehörigkeit ausgehandelt werden. Zweitens weist sie auf die Rolle des Rechts bei der Strukturierung politischer Kämpfe hin. Drittens besteht das politische Subjekt der Arbeiter, für das Kenny den isiZulu-Begriff abasebenzi analytisch etabliert, aus Artikulationen von Rasse, Klasse und Geschlecht. Ihre Analyse dieser Dynamik ist theoretisch durch post-marxistische und poststrukturalistische Ansätze geprägt, vor allem durch Stuart Halls Schriften über Subjektivierung, Identität und Ideologie.

Ihr Buch erweitert die bestehende Literatur über Protest und Arbeit, indem sie die Analyse nicht auf Gewerkschaften und institutionelle Hebel zur Erklärung der Arbeiterpolitik beschränkt, sondern die politische Praxis weiter fasst. Außerdem diskutiert sie politische Subjektivität nicht als eine Frage der Anerkennung. Für sie ist diese Diskussion zu kurz gegriffen, da Anerkennung hier als ein Endpunkt verstanden wird, auf den hingearbeitet werden muss; als eine ethische Errungenschaft eines sich entwickelnden autonomen Subjekts, das an einer reifen deliberativen Politik teilnimmt und damit eine a priori-Identität voraussetzt und der Perspektive einer „Ego-Psychologie der Identitätsfindung“ folgt (S. 13). Stattdessen zeigt ihre Analyse, wie „[p]olitische Subjektivitäten als historische Artikulationen diskursiver Praktiken und gelebter Beziehungen konstituiert sind“ (S. 14). Empirisch basiert ihr Buch auf 20 Jahren Engagement mit Arbeitern im Einzelhandel in und um die Großregion Johannesburg, dem Wirtschaftszentrum Südafrikas. Ihr methodischer Ansatz wird nur in einer Fußnote erwähnt (Anm. 16, S. 24), aber hier erfahren wir, dass die Analyse auf einer Kombination von lebensgeschichtlichen Interviews, Fokusgruppen und semi-strukturierter Arbeitsplatz-Interviews sowie Umfragen beruht. Passend zur Forschungsfrage, die Dauerhaftigkeit politischer Auseinandersetzungen im Einzelhandel zu erklären, folgt das Buch einer chronologischen Diskussion über die sich verändernden Konturen politischer Subjekte von abasebenzi.

Nach einem einleitenden Kapitel beginnt die Analyse in Kapitel 2 mit den Arbeitsbeziehungen im Zeitraum zwischen 1930 und 1970, in dem sich der Einzelhandelssektor konstituierte. Kenny zeigt, wie die Geschäfte zu emotionalen Orten und Orten der Auseinandersetzung wurden. Während zu Beginn die Einzelhandelsarbeit hauptsächlich von weißen Frauen (für die weiße Öffentlichkeit) geleistet wurde, führte die Expansion des Wirtschaftssektors zu einer Intensivierung der Arbeit und der Einführung neuer Berufsklassen. Dabei kam es zu einer rassischen Reorganisation und einer geschlechtsspezifischen Differenzierung und Hierarchisierung der Arbeitsplätze: (Weiße) Frauen sollten am Schalter bedienen und die direkten Kundenbeziehungen gestalten, während (schwarze) Männer meist in Bereichen mit wenig Kundenkontakt delegiert wurden. Diese Trennung wurde angefochten, und Kennys Analyse dieser Auseinandersetzungen besticht durch den Einbezug der räumlichen Dimension: Sie verknüpft die rassistische und geschlechtsspezifische Differenzierung mit der Organisation des städtischen Raums und der Funktion und Verortung des Einzelhandels als „Räume weißer Zivilität“. Hier waren weiße Weiblichkeit und die emotionale Arbeit weißer Frauen eine entscheidende Praxis, diesen Raum zu konstituieren und Beziehungen der Zugehörigkeit zur Nation zu organisieren.

In Kapitel 3 sowie auch in Kapitel 5, 6 und 8 zeichnet Kenny genauer die Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz nach – also den Zusammenschluss zu einer neuen Gewerkschaft in den 1960er- und 1980er-Jahren sowie den Wildcat Strikes in den 1990er- und 2000er-Jahren. Kenny greift hier den emischen Begriff abasebenzi auf, um ihn als analytisches Konzept für die politische Subjektwerdung zu etablieren. Damit ist die Ethnographie auch wegweisend für eine postkoloniale Theoriebildung in den Sozialwissenschaften.1 Mit abasebenzi wurde eine Form politischer Subjektivität von Arbeiter/innen im Zuge ihrer Auseinandersetzungen im Einzelhandel definiert, die von Natur aus kollektiv ist und mit der Assoziation von blackness mit deskilled labour brechen möchte. Die abasebenzi verstehen sich als sprechende und handelnde Subjekte.

Die semantische Verkettung von Diener/Native/labourer vs. Arbeitnehmer, mit der Rasse und (Un-)Zugehörigkeit im Arbeitsverhältnis eingeschrieben wird, zeichnet Kenny als grundlegende Machtbeziehung nach, die trotz Protest und Auseinandersetzung auf unintendierte Art und Weise immer wieder aufrechterhalten wird. Dies wird besonders deutlich in Kapitel 6, wo die unterschiedlichen Gruppen an Arbeitern alle für sich ihren Status als abasebenzi proklamieren und dadurch die Belegschaft des Einzelhandels intern spalten und den Arbeitnehmer als Festangestellten weiterhin als Inhaber von Rechten und Person höheren Status festschreiben. Auch in der jüngsten Geschichte des Einzelhandels – der Ankunft der Konzerne Massmart/Walmart (Kapitel 8) – besteht diese Hierarchie fort. Hier wird Arbeitskraft verstärkt als Leihmasse eingesetzt und die Verkettung von Diener/Native/labourer als Ungelernter und Außenseiter wird reproduziert. Und selbst wenn die Verwirklichung der Norm der Vollzeit-, Standardstunden und der beruflichen Integrität immer schwieriger zu realisieren scheint, bleibt sie eine mächtige Norm im Gegensatz zu den Signifikanten Diener/Native/labourer.

Ein weiterer zentraler Punkt im Buch ist die sozialrechtliche Geschichte der Kategorie des Arbeiters im Einzelhandel. Insbesondere in Kapitel 4 zeigt Kenny, wie politische Subjektivität zwar durch rechtliche Kategorien beeinflusst wird, aber nicht ausschließlich über rechtliche also formale Anerkennung vermittelt ist. Kenny betrachtet die Entwicklung des Arbeitsrechts im Einzelhandel, um zu verstehen, wie eine bestimmte Sprache – das Recht – Kategorien bereitstellt, die Positionen und (Protest-)Handlung organisiert. Auch das Arbeitsrecht (re)organisiert die Spaltungen unter den Arbeitnehmern, und insbesondere die Verkettung bzw. Dichotomie zwischen Arbeitnehmer vs. Diener/Native/labourer im Recht.

Kenny begrenzt jedoch die Politik der Arbeitnehmer nicht auf formale Rechte. Inwiefern Arbeit wichtig ist, um als Subjekt an Wert und Anerkennung zu erhalten, ist eng mit Räumen außerhalb des Arbeitsplatzes verbunden. Dies zeigt sich deutlich in Kapitel 7, wo sie untersucht, „wie Räume außerhalb des Arbeitsplatzes dazu beigetragen haben, die Bedeutung von Arbeit für […] Einzelhändler zu definieren“ (S. 21). Sie weist darauf hin, dass Arbeit nicht nur ein wirtschaftliches Interesse darstellte, sondern in eine Reihe von Beziehungen eingebettet ist, wie zum Beispiel Haushaltsbeziehungen und Praktiken des Versorgens. Passiv zu Hause zu sitzen, kommt einem sozialen Tod gleich, und eine Analyse von Abhängigkeits- und Ausbeutungsbeziehungen am Arbeitsplatz müssen diese Dynamiken mit einbeziehen. Mit diesem Verständnis und der anschließenden Analyse der Arbeitnehmerbeziehungen außerhalb ihres Arbeitsbereichs innoviert Kenny die Studien zur Arbeit über die Fallstudie des Einzelhandels hinaus. Ohne diesen Literaturstrang explizit zu benennen, reiht sich Kennys Analyse in feministische Perspektiven auf Arbeit und Anerkennung ein2, die Produktions- und Reproduktionsbereiche verbinden und deren Artikulation diskutieren.

Damit ist das Buch zum einen eine detaillierte, empirisch fundierte, historische Beschreibung der Veränderungen der Arbeitsorganisation des Einzelhandels in Südafrika und spezifischer im Großraum Johannesburg. Zum anderen leistet es auch einen theoretischen Beitrag über das Fallbeispiel hinaus: Kenny erweitert überzeugend mit dem Begriff des abasebenzi und dem damit verbundenen Verständnis von politischer Subjektwerdung die Diskussion um Arbeiterbewegungen. Zudem bettet sie Arbeit in einen weiteren sozialen Zusammenhang als die industriesoziologische Arbeitsforschung. Zuletzt zeigt ihre Analyse die widersprüchlichen Folgen von politischem Handeln bzw. Bestrebungen nach Anerkennung: Arbeitskämpfe schreiben sich fort, indem sich Beziehungen und semantische Strukturen verschieben, die letztendlich aber den Status der Arbeiterkategorie der Festangestellten stärken und so rassifizierte Miss-Anerkennungsbeziehungen reproduzieren.

Anmerkungen:
1 Jean Comaroff / John L. Comaroff, Theory from the South. Or, how Euro-America is Evolving Toward Africa, in: Anthropological Forum. A Journal of Social Anthropology and Comparative Sociology 22/2 (2012), S. 113–131; Sarah Nuttall / Achille Mbembe (Hrsg.), Johannesburg. The Elusive Metropolis, Durham 2008; Jennifer Robinson, Thinking cities through elsewhere. Comparative tactics for a more global urban studies, in: Progress in Human Geography 40/1 (2016), S. 3–29.
2 Sie zitiert diese Arbeiten selbst: Kathi Weeks, The Problem With Work. Feminism, Marxism, Antiwork Politics, and Postwork Imaginaries, Durham 2011; auch James Ferguson, Give a Man a Fish, Durham 2015. Ihre Analyse ist auch für deutschsprachige Diskussionen relevant, siehe Brigitte Aulenbacher u.a. (Hrsg.) Arbeit und Geschlecht im Umbruch der modernen Gesellschaft. Forschung im Dialog, Wiesbaden 2007.

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